Er saß auf der Bank am Straßenrand und überlegte,
ob er in das Haus gehen sollte, das auf der anderen Seite lag. Er
beobachtete das Schaukeln der Straßenlampe im Wind, die mit Draht
zwischen die Häuserzeilen gespannt war. Neonschein, grün, Neongrün,
dachte er sich, das Grün, das ihm wohl vertraut war.
Operationssaalgrün.
Doch da rief ihn gleich wieder sein Verstand
zur Ordnung. Vergiß es, sagte er zu sich, du bist jetzt hier, in
dieser Stadt, in diesem Land, von Beruf Installateur, die Nächte
draußen werden immer kühler, alles andere vergiß, mach keinen
Fehler. Sie brauchen dich hier nur als Installateur.
In der Hand
hielt er einen Zettel. Ein Bekannter, nein, eigentlich ein flüchtig
vertraut Gewordener, Rumäne, so wie er, hatte ihm eine Adresse
zugesteckt. Am Bahnhof hatte er ihn getroffen. Eine Nacht hatten sie
gemeinsam dort verbracht, auf dem Abstellgleis, im Waggon. Bis die
plötzlich kamen, mit ihren Hunden: "Los, ihr faules Gesindel,
macht, daß ihr weiterkommt, sonst holen wir die Polizei."
Er
zündete sich eine Zigarette an, und überlegte, während er in einer
Hand immer noch den Zettel hielt, ob er hinübergehen sollte, ins
Hotel. Der Boss dort, so hatte man ihm erklärt, wäre Rumäne;
vielleicht war das endlich eine Chance, vielleicht war es seine
Chance. Hauptsache irgendetwas tun, dachte er sich, sein Kreuz
verkaufen, bevor die Nächte im Freien unerträglich werden. Kellner
würden gesucht, das hatte er oft gehört. Und er hatte ja inzwischen
Deutsch gelernt, im Flüchtlingslager, drei Monate lang. Außerdem
hatte er schon öfter als Aushilfskellner gejobbt, früher, in den
Ferien, während des Studiums.
Er öffnete die Tür. Die
Festigkeit seiner Schritte war nur gespielt. Er fühlte sich
getrieben von der Angst, jeder Schritt könnte ein Fehltritt sein,
ein Schritt an den Abgrund, der hieß: Abschiebung. Ohne Papiere
würde alles ganz schnell gehen.
Jeden Blick, der auf ihn fiel,
glaubte er zu spüren. Bestimmt messen die mich jetzt ganz genau,
dachte er sich. Man muß es mir ja ansehen, daß ich nicht
hierhergehöre. Nicht in dieses Hotel, in dem alles so ordentlich
ist, nicht in dieses Land, wo man sich auch ohne seine Fäuste
behaupten konnte, wenn man nur die richtigen Papiere hatte.
Er ging auf den Mann hinter der Bar zu. "Guten
Tag", sagte er, lehnte sich selbstbewußt an die Theke.
"Guten
Tag. Sie wünschen?" Erwiderte der Kellner.
"Möchte
sprechen mit Chef."
"So?"
"Suchen
Arbeit."
"Ah, Jugo?"
Er wurde rot, fühlte sich
ertappt. Dabei hatte er sich solche Mühe gegeben, als einer zu
erscheinen, der sich der Landessprache schon bemächtigt
hatte.
"Rumäne." Sagte er knapp und kühl.
"Achso.
Verstehe. Ich werde einmal den Herrn Chef herholen." Mit diesen
Worten verschwand der Kellner hinter einer Tür.
"Sie wollen
also arbeiten, bei uns?" Fragte der Chef, ein dunkelhäutiger,
bulliger Typ, den Fremden, während er ihn musterte.
"Ja."
"Und
Sie haben schon gearbeitet im Gastgewerbe?"
"Habe schon
oft gemacht Arbeit als Kellner."
"Ist aber nicht Ihr
Beruf?"
"Habe gelernt Installateur."
"Hilfskräfte
können wir immer brauchen."
"Ist für mich egal. Mache
alles."
"Ihr Deutsch ist nicht schlecht," wechselte
der Chef jetzt in seine Muttersprache, "für einen Rumänen
wirklich gut."
"Wir können weiter sprechen auf
Deutsch", zeigte sich der Rumäne stolz auf seine
Sprachkenntnisse.
"Wir wollen die Sache nicht unnötig
kompliziert machen", erwiderte der Geschäftsführer auf
Rumänisch. "Aus welcher Stadt sind Sie eigentlich?"
"Aus
Bukarest."
"Ja ... Bukarest ... habe ich schon lange
nicht mehr gesehen ..."
"Sie sind auch von dort?"
Wollte sich der Fremde anteilnehmend zeigen.
"Nein. Aus
Klausenburg. Eine schöne Stadt. Gewesen. Alles herunterge-kommen.
Während die in Bukarest sich ihre Paläste bauten. – Aber, jetzt
bin ich Österreicher. Österreich ist gut. Alles perfekt. Und für
Arbeit gibt es richtiges Geld. Ich möchte nicht mehr zurück.
Rumänien! Das ist nichts mehr für mich. – Wer hat Sie eigentlich
hierhergeschickt?"
"Ich habe nur gehört, es gibt Arbeit
bei Ihnen."
"Wer hat Ihnen das gesagt?" Wurde der
Geschäftsführer neugierig.
"Ich weiß seinen Namen nicht;
habe ihn nur getroffen, am Bahnhof."
"Bahnhof. Soso. Sie
schlafen also am Bahnhof?"
"Habe noch keine Wohnung
gefunden, ohne Arbeit ..."
"Und Ihre Papiere?"
Der
Mann griff in seine Jackentasche und zog seinen Paß heraus, hielt
ihn dem Geschäftsführer hin, der nur einen kurzen Blick
hineinwarf.
"Daß Sie aus Rumänien sind, wissen wir ja. Aber
wo ist Ihre Arbeitsge-nehmigung?" Bohrte der Chef nach.
"Habe
noch keine Papiere. Aber auf der Polizei haben sie mir gesagt, ich
werde welche bekommen," versuchte der Rumäne, überzeugend zu
wirken.
"Ja, das sagen sie alle. Und dann habe ich nur
Probleme mit der Polizei, wegen Schwarzarbeit."
Aber ich
werde die Papiere bekommen, hundertprozentig."
"Ja, ja.
Weiß schon", winkte er ab.
"Sie haben also Arbeit für
mich?"
[...]
Der vollständige Text ist (in englischer Übersetzung) nachzulesen im Buch: Against the Grain, New Anthology of Contemporary Austrian Prose, Ariadne Press, Riverside (USA), 1997
© Martin Ohrt
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