STEFFI wirft die Scherben in den Mülleimer: Alles ist sowieso schon im Eimer.
LUDMILLA ZECHNER: Die Klomuscheln schreien unüberhörbar nach Erneuerung. Sind schon nicht mehr in einen Anstand zu kriegen, mit ihrem Jahrhundertbelag. Zu Alois: Aber dich kümmert ja kein Dreck, weil der ist in seiner Eigenheit reine Frauenarbeit, redet sich deine besserwissende Manneskraft immer wieder heraus. Und die abgetretenen Dielen scheuern mir einen Spahl nach dem anderen in die Hände. Schaut sich ihre Hände an.
ALOIS ZECHNER: Was verstehst du schon von der Geschäftigkeit? Siehst du nicht, wie wir unseren Gästen alles vom Munde absparen müssen, Putzfetzen für Putzfetzen?
STEFFI: Gäste? Diese drei Dorfheinis, die uns alltäglich kommen?
LUDMILLA ZECHNER: Du spotte nicht unserer Beschreibung! Schließlich zehrst auch du davon!
STEFFI nimmt ihre Schürze ab: Meine Unschuld trifft es nicht, daß alle wegwollen aus diesem Kaff, dieser unfruchtbaren Gebirgsspalte. Sie will gehen. Ludmilla Zechner hält sie zurück.
LUDMILLA ZECHNER: Alles liegenlassen, das ist deine Arbeitsmoralität. Du wirst wohl nie in eine Ordentlichkeit finden?
STEFFI: Und als Alpenheimchen am Alpenwirtschaftsherd verkümmern, wie eine ganze Löwenzahninvasion in einer Felsspalte?
Ludmilla Zechner drückt Steffi Besen und Schaufel in die Hand. Sie nimmt es widerwillig entgegen.
ALOIS ZECHNER: Du willst in Schaunabelkirchen doch nur wieder unser Geld durchbringen, durch diesem schwülen Tanzladen.
STEFFI: In diesem Tanzpalast ist wenigstens noch ein Etwas los. Hier verfällt man ja geriatrischen Zuständen, schon mit vierzehn.
ALOIS ZECHNER: Ja, unser Eigenfleisch und Blut, unsere Steffi, hat leicht lästern. Was weißt du schon, wie wir uns das alles mühsam hochgerackert haben?
LUDMILLA ZECHNER: Die Nächte haben wir uns durchgeschuftet, daß du es besser haben sollst, in deinen Tagen.
STEFFI: Und diese Tage werden mir niemals kommen. Kehrt nachlässig die Scherben auf die Schaufel.
Es klopft an der Tür. Alle scheinen es zu überhören.

LUDMILLA ZECHNER: Des Möglichen alles hast du nur im Kopf, aber keine Wichtigkeiten des Lebens.
ALOIS ZECHNER: Weil wir dir immer alles in den deinigen Schoß geworfen haben.
STEFFI: Dafür macht eure Pflicht und Verschuldung mir jetzt mit achtzehn den Buckel krumm. Leert die Scherben in den Mülleimer.
Es klopft noch einmal, diesmal heftiger.

ALOIS ZECHNER ruft nach draußen: Sperrstunde! zu seiner Frau: Wir haben der Dorfgemeinheit alle Schuldigkeit getan.
LUDMILLA ZECHNER: Auch Wirtsleute brauchen Nächte für einen Schlaf.
STEFFI: Und mir bleibt nur die Nacht, in ihrer totalenen Kargheit. Legt die Arbeitsutensilien weg, geht zur Tür.
LUDMILLA ZECHNER: Uns wirst du noch sehen lassen, wohin dieser müßige Lastergang dich verführen wird!
Steffi öffnet die Tür. Viktor, ein junger Russe, steht in der Tür, lächelt sie verlegen an. Hinter ihm versteckt Iwan Karaschow und Ilona Karaschowa.
ALOIS ZECHNER: Ein neu angeschaffter Discobruder, wie?
LUDMILLA ZECHNER: Nie erzählst du uns irgendetwas. Unterbricht ihre Arbeit, geht auf die Ankömmlinge zu. Alois folgt ihr.
VIKTOR: Wünsche guten Abend. Ich weiß, es ist schon spät heute.
LUDMILLA ZECHNER: Ja, dieses unangenehm Gewöhnhliche kennen wir. Je mehr der Abend sich den Morgen greift, umso höher staut sich die Trinklust.
VIKTOR: Nein, wir wollen nicht trinken. Nur ein bissel Essen und Schlafen.
LUDMILLA ZECHNER: Achso ...
IWAN UND ILONA schüchtern: Guten Abend.
ALOIS ZECHNER: Wir haben bereits alles zugeschlossen.
VIKTOR: Wir haben schon eine weite Reise hinter uns.
IWAN KARASCHOW: Und sind hundemüde.
ILONA KARASCHOWA: Wir können Ihnen helfen, die Zimmer herzurichten.
ALOIS ZECHNER: Ausgeschlossen.
LUDMILLA ZECHNER zu Alois: Aber überlege: Je fremder die Gastmenschen, desto größer die Vereinnahmung! Die haben sicher keine buchstäbliche Ahnung von unseren dorfkartellierten Preisen, bei ihrer fernen Herkunft.
STEFFI: Euer Denken ist nur ein einziges Abkassieren.
LUDMILLA ZECHNER zu ihr: Du richte lieber der Gastherrschaft Gläser.
Steffi stellt Gläser bereit.
VIKTOR: Es ist eine große Ehre für uns, in Ihrem Haus Gast zu sein.
LUDMILLA ZECHNER: Sie wollen der Nacht ein Zimmer abnehmen?
VIKTOR: Man kann es so sagen.
IWAN KARASCHOW: Wir werden alles gut bezahlen.
LUDMILLA ZECHNER: Steffi, richte bitte im Anschluß zwei Zimmer nach den Fremdherrschaften aus, du weißt schon.
STEFFI: Nicht einmal die abendliche Vergnüglichung wird einem von euch vergönnt.
LUDMILLA ZECHNER: Du mußt unserem Wohlstand auch deinen Beistand leisten.
VIKTOR: Dankeschön.
IWAN KARASCHOW: Wirklich.
ALOIS ZECHNER leise zu Ludmilla: Du kennst sie doch gar nicht in ihrer ganzen Wirklichkeit. Wer weiß, welche Leute sie darin sind.
STEFFI: Deine Mißtraulichkeit ist eine einzige Niederung. Lächelt Viktor zu, während sie geht, um die Zimmer zu richten.
ALOIS ZECHNER: Wenn sie in ihrer Eigenheit aber Spione sind, oder Schmuggler – oder Mafiaisten?
LUDMILLA ZECHNER zu Alois: Das sind von ihrer Ursprünglichkeit her Menschen übervoll mit Anstand, sagt mir mein Gefühlsblick. Zu den Russen: Wenn Sie bitte eintreten wollen. Es ist uns eineAufrichtigkeit, Sie bei uns beherbergen zu dürfen. Zu Alois: Schließlich gähnen seit Monaten unsere Gästezimmer ins Leere.
ILONA KARASCHOWA: Herzlichen Dank.
Die drei Russen treten ein.

© Martin Ohrt

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